Polizeinotruf in dringenden Fällen: 110

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Völlig zerstörte Häuserzeile im Stadtzentrum von Mostar. Davor ein Streifenwagen der Westeuropäischen Union (WEU).
Polizei beteiligt sich seit 25 Jahren an Polizeimissionen im Ausland
Heinz Kurscheid gehörte im Jahr 1994 zum ersten Kontingent, das damals ins ehemalige Jugoslawien entsendet wurde. Wir haben mit ihm in seinem Einsatztagebuch geblättert.
Streife-Redaktion

Gemeinsam mit 19 anderen Polizeibeamten aus NRW verbrachte Heinz Kurscheid sechs Monate in Mostar. Dort hatte bis vor wenigen Monaten noch Krieg geherrscht. Er erinnert sich noch genau: Eines Tages lag auf seiner Dienststelle eine Ausschreibung für einen Polizeieinsatz nordrhein-westfälischer Beamter in Mostar, Bosnien und Herzegowina. Solch einen Einsatz hatte es bislang noch nicht gegeben. »Nach 14 Jahren Schichtdienst in Bonn wollte ich aus dem täglichen Dienst-Einerlei ausbrechen und einmal etwas völlig anderes tun. Ich habe mich gefragt, wo für mich die nächste Herausforderung liegen könnte. Als die Ausschreibung kam, war für mich schnell klar: Das ist es. Das muss ich machen.«

 

Beobachten, beraten, berichten

Initiiert wurde der Einsatz, an dem auch Beamte aus anderen Bundesländern, der Bundespolizei sowie Polizeien anderer EU-Staaten beteiligt waren, von Hans Koschnick, dem damaligen EU-Administrator für Bosnien und Herzegowina. Die Aufgabe: Innerhalb von zwei Jahren sollte aus den verschiedenen Milizen Mostars eine einheitliche Polizei geschaffen werden. Die internationalen Beamten sollten »mitgehen, beobachten, beraten, helfen und berichten«. Wie das konkret passieren sollte, wusste damals aber erst einmal niemand so recht. »Meine damaligen Kollegen haben mich jedenfalls für verrückt erklärt«, so Kurscheid.

»Alle kannten ja die Bilder aus dem Fernsehen und hatten zumindest eine Idee davon, wie verworren die Lage vor Ort war.« Ebenfalls ungewohnt für den Polizeibeamten: Der riesige Medienrummel, der rund um die Mission der deutschen Beamten stattfand. Zeitungen, Fernseh- und Radiosender forderten bereits Statements und Interviews, noch bevor die Beamten Mostar überhaupt erreicht hatten.

 

Eine Stadt in Ruinen

Am 10. Oktober 1994 startete dann für den damals 38-Jährigen die Reise ins Ungewisse: In einer dreitägigen Busfahrt ging es über die kroatische Küstenstadt Opatija zum Wallfahrtsort Medugorje, der etwa 30 Kilometer vor Mostar liegt. Dort waren die internationalen Polizeikräfte für den Zeitraum der Mission untergebracht. Die Einweisung durch den Stabschef erfolgte direkt nach der Ankunft noch vor dem Abendessen. »Er hat uns ohne Umschweife klargemacht, dass es an der Stadtgrenze immer noch zu kriegerischen Handlungen kommt, etwa durch Granateinschläge. Und dass die beiden ethnischen Seiten, die wir aufeinander zubewegen sollten, bislang noch nicht einmal miteinander redeten. Das war für uns wirklich ernüchternd«, erinnert sich Heinz Kurscheid.

Am nächsten Tag ging es dann für die Beamten zum ersten Mal nach Mostar. Das Bild, das sich ihnen vor Ort bot, war eines völliger Zerstörung: 95 Prozent der Häuser im Ostteil der Stadt Heinz Kurscheid 1994 vor einem Panzerfahrzeug. Es musste zu dieser Zeit immer noch mit Granateinschlägen gerechnet werden. glichen Ruinen und waren eigentlich nicht mehr bewohnbar. Trotzdem lebten dort Familien auf engstem Raum zusammen – zum Teil ohne Strom und fließend Wasser. »Wir waren wirklich geschockt. Und wir haben uns gefragt: Mit welchem Hass müssen hier zwei Kriegsgegner aufeinander getroffen sein? Uns wurde erst jetzt so richtig klar, wie schwierig unsere Aufgabe wirklich werden würde«, sagt Heinz Kurscheid.

 

Annäherung in kleinen Schritten

Während des Bosnien-Krieges Anfang der 1990er-Jahre wurde die Stadt Mostar in zwei Teile geteilt: in den kroatisch-westlichen und den bosnisch-östlichen Teil. Als Grenze galt der Fluss Neretva, der direkt durch Mostar fließt. Es galt nun, die Kräfte der bosnischen Muslime auf der einen und der Kroaten auf der anderen Seite wieder zusammenzubringen. Vor Ort wurden dazu zunächst internationale Streifen organisiert. Sie bestanden aus zwei Polizeibeamten und einem Übersetzer oder einer Übersetzerin. Diese fuhren dann gemeinsam im Vier-Schicht-Betrieb die verschiedenen Checkpoints im Westen und Osten der Stadt ab, die von der lokalen Polizei bzw. ehemaligen Militärs besetzt waren. »Auf diese Weise konnten wir erste Kontakte knüpfen und auch ein gewisses Vertrauen aufbauen«, erinnert sich der heute 63-Jährige. Im nächsten Schritt fuhr dann auch einer der lokalen Polizeibeamten im Streifenwagen mit. Diese Streife konnte zunächst allerdings nur in dem Teil der Stadt fahren, aus dem der Beamte stammte.

»Wäre ein bosnischer Muslim mit uns in den kroatischen Teil gekommen, hätte das für ihn lebensgefährlich werden können«, betont Heinz Kurscheid. Nur ganz allmählich war eine weitere Annäherung möglich: Als nach einiger Zeit zwei lokale Beamte mit auf Streife kamen – einer von der östlichen, einer von der westlichen Seite, wurde es etwas schwierig: »Am Anfang musste derjenige, der auf der »falschen« Seite war, im Auto bleiben. Es war ein ganz vorsichtiges Herantasten«, beschreibt Heinz Kurscheid das Vorgehen.

 

Schöne und schlimme Momente

Immer noch begeistert ist Heinz Kurscheid von der Zusammenarbeit mit den Kollegen aus den anderen EU-Ländern. In Mostar waren damals unter anderem Polizisten aus Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und den Niederlanden im Einsatz. »Alle hatten das Ziel, zu helfen und etwas zu bewegen. Deshalb ist man schnell als Team zusammengewachsen. Es wurde zusammen gegessen, Sport gemacht und Silvester gefeiert. In dieser Zeit sind viele Freundschaften entstanden.« Neben der eigentlichen Arbeit haben sich die Beamten vor Ort auch gemeinsam ehrenamtlich engagiert: So haben sie zum Beispiel bei der Errichtung eines Kindergartens geholfen. Das Material dazu lieferte das Technische Hilfswerk, das damals auch vor Ort war, um die Bevölkerung zu unterstützen. Aber Heinz Kurscheid erinnert sich auch an einen wirklich heiklen Moment: Als er gerade in der Nähe eines Checkpoints an der Stadtgrenze steht, schlägt in unmittelbarer Nähe eine Granate ein. »Wenn einem von dem Einschlag der Dreck ins Gesicht spritzt, fragt man sich in dem Moment schon: Was machst du hier eigentlich?«

 

Eine spannende und emotionale Zeit

Insgesamt sechs mal war Heinz Kurscheid in Auslandsmissionen unterwegs, unter anderem noch in Tirana (Albanien) und Zvornik (Bosnien und Herzegowina). Auch nach Mostar kam er noch einmal – als Mitglied des vierten und letzten Kontingents, das nach zwei Jahren die Mission abschloss. »Es war unglaublich zu sehen, was in diesen zwei Jahren geschafft wurde. Mittlerweile fuhren zwei Beamte aus dem Ost- und zwei Beamte aus dem Westteil gemeinsam Streife – wir waren nur noch per Funk mit ihnen verbunden. Das war ein wirklich großer Erfolg«, so Kurscheid.

Mit seiner Zeit im Ausland verbindet Heinz Kurscheid viele spannende, lehrreiche und emotionale Momente. In zwei großen Aktenordnern hat er Zeitungsausschnitte, Fotos und Einsatzbefehle aus dieser Zeit gesammelt – auch ein persönliches Dankschreiben des damaligen NRW-Innenministers Herbert Schnoor ist dabei. Er erinnert sich gern an die Zeit zurück: »Auch wenn es nicht immer einfach war – ich habe nicht einen Moment bereut. Solche Erfahrungen erweitern den Horizont. Man fängt an, die Dinge gelassener zu sehen. Probleme bekommen einfach eine ganz andere Dimension.«

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